Von Werbung zu Kunst – So entsteht eine starke Botschaft, indem du weniger sagst

Eine Frau und ihre Tochter sitzen auf einer Couch und beobachten lächelnd einen Mann. Der Mann sitzt in der Mitte des Raums auf einem Stuhl. Die Hände sind ausgestreckt, so als würde er ein Lenkrad halten. Der Zuschauer versteht instinktiv, dass es sich hier um eine Familie handelt. Alles läuft in Zeitlupe ab. Es läuft eine ruhige Melodie.

Der Mann blickt zur Seite und lächelt seine Frau und Tochter an. Doch als er wieder nach vorne schaut, verändert sich sein Gesichtsausdruck. Das Lächeln fällt aus seinem Gesicht. 

Wir sehen, wie Frau und Tochter von der Couch aufspringen. Seine Tochter legt ihre Arme um den Bauch ihres Vaters, seine Frau schlingt ihre Arme um seinen Oberkörper. In dem Moment, wo sich die Finger seiner Frau ineinander verschränken, wird der Mann nach vorne gerissen. Seine Arme und Beine fliegen nach oben.

Die ganze Werbeanzeige zeigt einen Autounfall. Die Botschaft wird schlagartig klar, als der Mann nach vorne gerissen wird: Dein Sicherheitsgurt rettet dein Leben. Mittlerweile hat die Anzeige über 20 Millionen Aufrufe. 

Der Clip ist aus mehreren Gründen interessant. Zum einen, weil nicht gesprochen wird, zum anderen, weil er in Zeitlupe abläuft. Doch das Verblüffendste ist etwas anderes.

Werbetreibende neigen dazu, möglichst viel in eine Anzeige hineinzupacken. Das Logo, alle Produktvorteile, Kundenstimmen, die Haltbarkeit, den Slogan und das Jahr, in dem das Unternehmen gegründet wurde. „Der Konflikt liegt in dem hartnäckigen Wunsch des Kunden, dem Verbraucher so viel wie möglich über sein Produkt zu erzählen, ohne dabei zu bemerken, dass diese überflüssigen Elemente nur dazu beitragen, den Verbraucher zu überfordern und die Kommunikation zu trüben.“, erklärt Pete Barry.

Deshalb werden Werbeanzeigen häufig so vollgestopft, dass sie jegliche Form verlieren. Das Problem: Je mehr unterschiedliche Dinge wir sagen, je mehr Informationen und Elemente wir in eine Werbeanzeige packen, desto schwächer wird die Botschaft.

Es ist ein bisschen wie beim Tennisspielen. Spielt dir jemand einen Ball entgegen, dann stehen die Chancen gut, dass du diesen auch zurückspielen kannst und ihn vielleicht sogar gut triffst. Spielt dir jemand 10 Bälle gleichzeitig zu, ist die Chance ziemlich hoch, dass du überhaupt keinen Ball triffst und wenn doch, dass dieser dann irgendwo landet – aber nicht da, wo er hinsollte. 

Das Erstaunlichste an der Werbeanzeige ist, dass sie völlig ohne Auto auskommt. Es gibt keinen echten Sicherheitsgurt und keine Autobahn. Du hörst keine Verkehrsgeräusche, keinen Krach vom Unfall. Selbst die Geschwindigkeit fehlt, stattdessen läuft alles in Zeitlupe ab.

Und genau das macht diese Werbeanzeige besser. 

Durch das Reduzieren wird die Botschaft klarer, eindringlicher, emotionaler, überzeugender – nicht durch das Hinzufügen. Am Anfang versteht der Zuschauer nicht, was er da sieht, doch mit jeder Sekunde erhält er neue Informationen. Er bleibt dran, die Verarbeitung ist tiefer.

Viele starke Botschaften sind deshalb so stark, weil Elemente weggelassen wurden. Schau dir diese Beispiele einmal an:

Robert Greene schreibt, dass die höchste Form von handwerklichem Können die Erschaffung einer eleganten, einfachen Struktur „mit einem möglichst geringen Materialaufwand“ ist. Wer Dinge weglässt, der ist gezwungen, kreativer zu arbeiten. Und kann so eine bessere Botschaft finden. Tatsächlich ist es fast so, dass Werbung dann ein bisschen aussieht wie Kunst. Die Werbung bekommt eine Meta-Ebene und man sieht nicht weniger in ihr, sondern mehr.

In einer Welt, die immer mehr kommuniziert, liegt der Schlüssel manchmal darin, weniger zu sagen. Auch in der Werbung.

Geschrieben von:
Matthias Schacknies
matthias@onely.de
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